Minenfelder aus dem Vietnamkrieg verhindern in Laos die archäologische Bestandsaufnahme einer rätselhaften Kultur. Eine Reise in die Ebene der Tonkrüge.
Es riecht säuerlich an Bord der 17-sitzigen chinesischen Propellermaschine. Und sofort nach dem Start vom Flughafen Vientiane erfahre ich auch warum: Es liegen nicht umsonst gleich zwei Kotztütchen auf jedem Sitz. Meine Nachbarinnen Sabine und Paloma aus Hamburg liebäugeln auch gleich mit deren Gebrauch. Da ich zum Glück see- und flugfest bin, kann ich die grandiose Aussicht auf die laotische Landschaft genießen. Wir überfliegen das Schwemmtal des Mekong mit seinen saftig-grünen Reisfeldern und den lehmig-braunen Bewässerungsgräben, dann schieben sich die ersten Gebirgsausläufer in die Ebene. Die Berge werden höher, bis annähernd 3000 Metern, sind stellenweise sehr steil abfallend und von dichtem Dschungel bewachsen. Ab und zu kann man das silbrige Band eines Wasserfalls ausmachen. Besiedlung gibt es kaum. Nur dort, wo man auf einem Plateau den Urwald gerodet hat, stehen vereinzelt ein paar Hütten. Die dazugehörige Dorfstraße verliert sich nach einigen Kilometern wieder in der Wildnis. Laos mit seinen knapp fünf Millionen Einwohnern, zählt über 60 verschiedene ethnische Gruppen. Wer gerade wo im Landesinneren verweilt, weiß man nie genau. Die meisten Ansiedlungen sind ziemlich autark. Geld als Zahlungsmittel ist wohl bekannt, zumeist findet der Handel jedoch auf Tauschebene statt. Dieser Zustand dürfte sich erst ändern, wenn dereinst die verkehrstechnische Infrastruktur verbessert wird.
In der Ferne wird die Landebahn sichtbar. Im unmittelbaren Umkreis von Phonsavan gibt es keinen Dschungel mehr. Hügelige Landschaft, Reisfelder, Weideland und überall kreisrunde braune Löcher: Bombenkrater. Neben der Landebahn sind einige alte Mig-Kampfflugzeuge und ein militärisches Radargerät aufgereiht. Die Einsatzbereitschaft scheint zweifelhaft. Phonsavan ist die Hauptstadt der Provinz Xiang Khouang und erst wenige Jahrzehnte alt. Die alte Hauptstadt wurde während des Vietnamkrieges und der anschließenden Unruhen vollkommen zerstört.
Am Flughafen empfängt uns Herr Sousath: "Na, seekrank geworden?" Sabine und Paloma verneinen etwas verschämt. Ein alter russischer Geländewagen bringt uns zu unserer Unterkunft für die nächsten Tage - dem Mali Hotel, das von Herrn Sousath und seiner Familie geführt wird.
Der Hotelier hat faszinierende und zugleich bedrückende Geschichten über den Krieg und aus seinem Leben zu erzählen. Als Zehnjähriger wurde er 1970 nach China zur Schule geschickt, um dem Krieg zu entkommen. Doch er hasste die Chinesen und ihr strenges maoistisches Erziehungssystem. Zusammen mit älteren laotischen Schülern floh er zurück in die Heimat. Den Zeitpunkt seiner Flucht hätte er nicht schlechter wählen können. Als Sousath an der laotischen Grenze ankam, war der Vietnamkrieg auch in Laos in vollem Gange. Mit zwei Bussen wollten die Jungen nach Vientiane gelangen. Als einer der Busse von einer amerikanischen Fliegerbombe getroffen wurde, war für den jungen Flüchtling kein Platz mehr. Fünf Jahre versteckte er sich zusammen mit Dorfbewohnern in einer Höhle. Dort spielte sich das gesamte Alltagsleben ab, dort ging er auch weiter zur Schule.
Als der Krieg 1975 ein Ende fand, musste sich der dan Fünfzehnjährige im Frieden erst zurechtfinden, er beendete die Schule und begann eine Berufsausbildung. Die nächsten Jahre lebte Herr Sousath in Vientiane, wo er als Bankangestellter, Privatdetektiv, Diskjockey und Rundfunkreporter arbeitete. 1980 ging er in die damalige DDR. Nach seiner Rückkehr 1987 musste er sich im abgeschotteten Laos weiter mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten, bis er 1995 das Mali Hotel eröffnen konnte.
Den Rest des Tages nutzen wir zu einem kleinen Ausflug zur eigentlichen Ortschaft Phonsavan. Viel ist nicht zu sehen. Die Straßen sind vom nachmittäglichen Regen verschlammt. Beiderseits stehen eingeschossige, nach vorne offene Holzhäuser. Alle möglichen Waren für den täglichen Gebrauch und Lebensmittel werden angeboten. "Das ist ja hier wie in Nordthailand", meint Sabine, die sich von einer Tour ins goldene Dreieck gestählt glaubt; Paloma pflichtet ihr bei.
Graue Riesen
Ich bin nach Ponsavan gekommen, um die Ebene der Tonkrüge zu besuchen, eine nach dem Vietnamkrieg in Vergessenheit geratene und heute in Europa fast unbekannte Landschaft im nordöstlichen Laos. Sabine und Paloma haben sich mir in Vientiane angeschlossen. Sie wollen die Ursprünglichkeit des Alten Laos entdecken und konnten bisher kaum einen Unterschied zu Thailand ausmachen. Herr Sousath hat ihnen versprochen, diese Unterschiede aufzuzeigen.
Am nächsten Morgen geht es dann los. Hotelinhaber und Sohn erwarten uns mit ihrem russischen Geländewagen. Am Vorabend hatten wir noch ein Briefing bekommen und wissen nun, dass im Umkreis von Phonsavan bisher 14 Stellen (die hier mit dem archäologischen Fachbegriff Sites bezeichnet werden) mit geheimnisvollen, z.T. gigantisch großen Steingefäßen entdeckt wurden. Vermutlich gibt es in den schwer zugänglichen Wäldern noch weitere. Nur Fundstellen, auf denen mehr als 50 Behältnisse stehen, dürfen offiziell Site genannt werden. Über die Steingefäße selbst gibt es von wissenschaftlicher Seite unterschiedliche Vermutungen und Erkenntnisse. Fest steht, dass die Gefäße etwa 3000 Jahre alt sind und jedes von ihnen aus einem einzelnen Granit- oder Sandsteinblock gefertigt wurde. Da das Material nicht aus der unmittelbaren Gegend stammt, nimmt man an, dass es mit Hilfe von Elefanten hierher transportiert wurde und man die Gefäße dann vor Ort gefertigt hat. Konnten jedoch Elefanten die teilweise über zehn Tonnen schweren Gesteinsbrocken durch schwieriges Gelände über weite Strecken transportieren? Eine Frage, die zumindest zu Überlegungen und Fantasien Anlass gibt.
Grau, kolossal und unnatürlich sehen sie aus, weit im Gelände verstreut. Manche stehen aufrecht, viele geneigt und einige sind auch ganz umgestoßen. Wie die Stümpfe von abgeholzten Riesenbäumen. Der genaueren steht nicht nur die Tatsache im Wege, dass der laotische Staat andere Sorgen hat, sondern auch der Umstand, dass erst drei von den insgesamt vierzehn bisher entdeckten Feldern von Munitionsschrott und Minen gesäubert sind.
Der Volksmund erzählt die 1500 Jahre alte Legende vom guten Königs Khun Jeuam, der den unterdrückten Bewohnern der Hochebene im Kampf gegen den bösen und tyrannischen König Chao Anga zur Hilfe kam. In einer blutigen und erbittert geführten Schlacht haben die Soldaten Khun Jeuams den Unterdrücker und seine Helfer aus dem Gebiet vertrieben. Khun Jeuam ordnete an, dass zur Feier des Sieges Tonkrüge zur Gärung von Wein gebaut werden sollten. Das Material der Krüge bestünde aus einer Mischung aus Sand, Zucker und Büffelhaut. Wahrscheinlich beruht die fälschliche Bezeichnung "Tonkrüge" für die Granitriesen auf dieser Überlieferung.
Erst vor wenigen Monaten wurde im Dschungel unweit von Ponsavan eine Site mit mehr als 500 Tonkrügen entdeckt, deren Betreten jedoch für Ausländer noch verboten ist; "wegen der Minengefahr", sagt Herr Sousath und zeigt uns sein Minensuchgerät, das er stets im Wagen mitführt. Neben den offiziell erschlossenen Fundstätten gibt es noch etliche Stellen im schwer zugänglichen Hochland mit Ansammlungen von 10 bis 50 Gefäßen. Addiert man die Zahl aller bisher gefunden Tonkrüge, so kommt man auf mehr als 10 000.
Site 1 mit Namen Ban Ang beherbergt insgesamt ca. 300 Gefäße und ist die größte der für die Öffentlichkeit freigegeben Sites. Die Gefäße in dieser Ansammlung sind zwischen knapp einem Meter und gut drei Metern hoch und wiegen zwischen 600 Kg und knapp 7 Tonnen. Dass es sich bei den Kesseln um Teile von Gräbern eines bisher unbekannten Volksstammes handelt, scheint festzustehen. Denn bei von der französischen Archäologin Madeleine Colani in den 1930iger Jahren durchgeführten Grabungen wurden Knochenreste unter den Tonkrügen gefunden. Da die größeren Gefäße auf einer erhöhten Stelle und am Rand der Site stehen, wird vermutet, dass diese Adeligen oder Führerpersönlichkeiten vorbehalten waren.
Die Vermutung liegt nahe, dass man über der Grabstätte der Verstorbenen in den Krügen Opfer und Grabbeilagen aufbewahrt hat. Oder haben wir es bei den Gefäßen mit Urnen zu tun? Madeleine Colani hat Grabungen in einer Höhle nahe von Site 1 durchgeführt, die über zwei natürliche Kamine verfügt. Auffällig ist, dass eine Wand der Höhle von Feuerrauch geschwärzt ist. Die Grabungen ergaben, dass sie über einen langen Zeitraum als Krematorium genutzt wurde. Wurden die Toten hier eingeäschert und dann in den Krügen beigesetzt? Die direkte Nachbarschaft von "Krematorium" und "Friedhof" ist recht einleuchtend. Auch müssen sich die Bestattungsriten über die Jahrhunderte geändert haben, denn bei einer kleineren Ausgrabung im Jahre 1994, vom japanischen Archäologen Eiji Nitta durchgeführt, sind hauptsächlich unverbrannte Skelettreste gefunden worden. Gegen die These von der Bedeutung der Krüge als Urnen spricht allerdings, dass es sich bei den bisher gefunden Artefakten um mehr als 10.000 handelt. Solch aufwendige "Grabsteine" wären sicherlich nicht für jedes Mitglied einer Gruppe oder eines Stammes errichtet worden, sondern wohl Adligen vorbehalten gewesen.
Ursprünglich waren wohl alle "Urnen" mit Deckeln verschlossen. Man mutmaßt, dass spätere Siedler und durchziehende Stämme die Behältnisse geöffnet und deren Inhalt entnommen haben oder verrotten ließen. Werkzeuge als Beleg für diese Theorie fand Madame Colani in unmittelbarer Umgebung der Krüge. Allerdings wurden bei den Grabungen in den 1930iger Jahren auch Schmuckketten, Edelsteine und Werkzeuge aus Stein, Eisen und Bronze unter den Tonkrügen gefunden. Bemerkenswert ist, dass ähnliches Geschmeide und Instrumente bei den berühmten Ausgrabungen von Ban Chiang im Nordosten Thailands aufgetaucht sind. Auch soll es einige wenige Steingefäße gleicher Machart auf einer kleinen Insel im heutigen Indonesien geben. Somit wird wohl auch weiterhin ungelöst bleiben, wer die Erbauer der rätselhaften Tonkrüge waren.
Ob moderne archäologische Untersuchungen das Rätsel um Funktion und Transport der steinernen Kolosse jemals lösen können, ist eine spannende Frage. Mitten auf einer Hochebene in Laos steht der Besucher staunend und ehrfürchtig vor den Hinterlassenschaften einer rätselhaften Kultur.
Kriegserbe und Kulturdenkmäler
Neben den steinernen historischen Zeugnissen hat das Gebiet um Phonsavan noch eine ganze Menge Interessantes zu bieten: Auffällig sind zunächst die verschieden ethnischen Gruppen mit ihren bunten Trachten und quirligen Wochenmärkten aber auch die atemberaubende Landschaft mit ihren faszinierenden Fotomotiven ist auf dem südostasiatischen Festland beispiellos. Unser Geländewagen kam richtig zum Einsatz, als es zu einigen der zahlreichen Höhlen ging. Im Krieg waren diese Höhlen sowohl Fluchtburgen als auch Unterschlupf und Lazarett für die verschiedenen Parteien. Unmengen von medizinischen Ampullen, ein verrottetes Krankenhausbett, Kochutensilien sowie ein verrostetes Gewehrmagazin lassen erahnen, was sich hier abgespielt hat. Irgendwo draußen steht ein noch recht gut erhaltener Schützenpanzer. Auf Spuren des Vietnamkrieges stößt der Besucher allenthalben im Nordosten des Landes. Wohl an keinem anderen Ort der Welt haben Gegner soviel explosiven Schrott hinterlassen. Auf dem Höhepunkt des Krieges kostete den amerikanischen Steuerzahler die über Laos abgeworfen Bombenlast täglich zwei Millionen Dollar. Auf ein Land, das die meisten Amerikaner nicht einmal auf der Landkarte finden können, fielen mehr Bomben als auf Deutschland während des gesamten Zweiten Weltkrieges.
Unexploded ordnance, kurz Uxo werden die zahlreichen Blindgänger genannt, für deren Auffinden und Entschärfen einheimische Helfer aus einem UN-Fond Prämien erhalten und somit zynischerweise das Haupteinkommen der strukturschwachen Region bestreiten. Gut zwanzig Prozent der abgeworfenen Bomben detonierten nicht und liegen noch heute als gefährliche Erblast in der Landschaft.
Noch haben die großen Touristenmassen diesen etwas abseits gelegenen Teil des Landes nicht entdeckt und es war wohltuend für mich, nicht auf Schritt und Tritt auf lärmende und oftmals desinteressierte Urlauber zu stoßen. Durch diesen Umstand, die Vielzahl der gewonnenen Erkenntnisse sowie die gute und kompetente Betreuung durch Herrn Sousath ist die Reise zu einem nicht alltäglichem Erlebnis geworden. Und spätestens als zum Abschluss der Tour eine faustgroße Tarantel ausgegraben und zum Essen mitgenommen wurde, merkten auch die Hamburger Mädels, dass Laos doch ein wenig anders ist.
Informationen
Anreise:
Direktflüge von Europa nach Laos gibt es nicht. Reisende müssen in Bangkok umsteigen. Thai Airways International fliegt täglich von Bangkok nach Vientiane. Weitere Flugverbindungen bestehen vom vietnamesischen Hanoi und Saigon (Ho-Chi-Minh-Stadt), dem kambodschanischen Phom Penh sowie dem thailändischen Chiang Mai (nach Luang Prabang). Durchgehende Tickets nach Laos sind meist sehr teuer, so dass es ratsam ist, in Bangkok ein günstiges Angebot zu wählen.
Immer beliebter wird die Einreise über die Freundschaftsbrücke am Mekong, die das thailändische Nong Khai mit der laotischen Hauptstadt verbindet.
Formalitäten:
Ein Touristenvisum berechtigt zu einem längstens vierwöchigen Aufenthalt. Man erhält es für 50 Euro bei der Botschaft der Demokratischen Volksrepublik Laos, Bismarckallee 2a, D-14193 Berlin, Tel. (030) 89 06 06 47, Fax (030) 89 06 06 48. Die Vertretung in Deutschland ist auch für die Schweiz und Österreich zuständig.
Ein Visum kann auch für 30 US Dollar direkt bei der Einreise auf dem Landwege an der Freundschaftsbrücke oder bei der Einreise mit dem Flugzeug erworben werden. Dieses gilt allerdings nur zwei Wochen. (Passbild darf nicht vergessen werden!)
Geld:
Landeswährung ist der Kip, 8000 Kip = 1 Euro. Es werden auch Thai Bath und US Dollar akzeptiert. In großen Hotels kann man auch mit Kreditkarten bezahlen (American Express, Visa und Mastercard).
Sicherheit: Laos ist ein äußerst sicheres Reiseland. Zwar muss man sich, wie woanders auch, vor Diebstählen schützen, indem man nur das Nötigste an Wertgegenständen mit sich führt, Gefahr für Leib und Leben besteht jedoch nicht.
Reisen im Land:
Mit dem Flugzeug bewegt man sich auf langen Strecken am komfortabelsten. Lokale Fluggesellschaften bedient die meisten Provinzen ab Vientiane. In den letzten Jahren hat sich auch Luang Prabang zu einer wichtigen Drehscheibe entwickelt. Die einfachen Strecke Vientiane - Ponsavan kost etwa 60 US Dollar. Ausländer müssen den Ticketpreis entweder in Thai Bath oder US Dollar begleichen.